Aufgeblüht
Mira Bardakji: Seit 54 Jahren bist du Priester, seit 42 Pfarrer in St. Peter. Es ist eine lange Zeit, in der du diese Pfarre vorgestanden bist. Viel Neues ist in dieser langen Zeit entstanden, vieles neu aufgeblüht. Das prägt. Aber auch diese Pfarre wurde von dir geprägt. Wie hat sie dich geprägt?
Pfarrer Ferdinand Köck: Ich hatte in den Landpfarren erlebt, dass die Seelsorge auf einen Menschen, dem Pfarrer, konzentriert war; ob in Sitzungen oder Gremien war der Pfarrer, der vorgestanden hat. Ich war bei allen Ereignissen dabei. Ich war verantwortlich für alle Aktivitäten. Hier musste ich lernen, auf viele zu hören und gemeinsam Entscheidungen zu treffen. Das gab mir nicht das Gefühl, über allen zu stehen, sondern in ein Team eingebettet zu sein.
Mira Bardakji: Was war für dich am spannendsten was du hier erlebt hast? Was war schmerzhaft für dich?
Ferdinand Köck: Schmerzhaft war… ich habe gespürt, die Seelsorge braucht Erneuerung und es war schwer, Menschen zu überzeugen, sich auf Neues einzulassen.
Verbundenheit pflegen, gemeinsam genießen, Gutes bewirken, unsere Partnerschaft mit El Salvador, Entstehung und Entwicklung des neokatechumenalen Weges in der Pfarre. Es war für mich völliges Neuland zu entdecken, dass nach der Taufe ein neues Katechumenat nötig sei. Eine neue persönliche, gemeinschaftliche Vertiefung der Taufe auf einem gemeinsamen Weg. Im Urlaub mit Familien in Kroatien begegnete ich den Initiatoren des Weges, P. Mario, Kiko Arguello und Carmen Hernadez (1985). 1987 gab es die 1. Katechese für Jugendliche und Erwachsene. 140 Interessierte kamen. 45 sagten nach der Katechese, sie möchten den Weg weitergehen. Seither sind 4 Gemeinschaften auf dem Weg. Ich hatte mehrere neue Bewegungen in der Kirche kennengelernt. Was mir am neokatechumenalen Weg gefiel war, dass es sich hier nicht um eine eigenständige Bewegung handelte, sondern um einen Weg der Glaubenserneuerung in der Pfarre. Es ist ein Weg für Getaufte, die mit Glauben und Kirche nichts mehr anfangen konnten. Erstaunlich war, dass gute Mitarbeiter und Kirchenferne teilnahmen. „Wenn unser Pfarrer es wünscht, dann hören wir diese Glaubensverkündigung halt einmal an und schauen, was dabei herauskommt. Italiener mit gebrochenem Deutsch verkündeten die Glaubensbotschaft. Es war sehr schnell klar: eine so existentielle aber auch provozierende Sprache hatte man noch nicht gehört. Es gab verschiedene Reaktionen. Manche waren sehr tief angesprochen und hatten für ihr Leben neue Perspektiven entdeckt. Andere protestierten, es ist bisher ja auch ohne dem gegangen. Schmerzlich war der Prozess, dass der Weg und die herkömmliche Pastoral mit ihren Aktivitäten sich nur langsam gegenseitig akzeptierten. Schmerzlich war auch, dass unsere Partnerschaft mit El Salvador bei einem Besuch im Jahre 1990 in San Salvador zwei guten Mitarbeitern und Familienvätern das Leben gekostet hat.
Mira Bardakji: Alles was Menschen bewegt und bedrängt, kommt in der Seelsorge zur Sprache. Die Gemeindemitglieder suchen Rat und Trost bei ihrem Pfarrer, sie wenden sich an ihn in allen Lebenslagen! Für andere da zu sein benötigt viel Kraft. Wo hast du deine Quellen, aus denen du die Kraft schöpfst?
Ferdinand Köck: Quelle der Kraft für mich sind das gemeinsame Brevier (Stundengebet der Kirche) Gebet am Morgen, die Eucharistiefeier und Beziehungen in der Pfarrgemeinschaft.
Mira Bardakji: Drei Mal in deinem Leben bist du schon im Angesicht des Todes gestanden. Was für Situationen waren das und was haben sie in deiner Einstellung zu Leben geändert?
Ferdinand Köck: Als 3-jähriges Kind habe ich mich beim Spielen mit kochend heißem Wasser schwere Verbrennungen zugezogen. Monatelang war ich durch große Schmerzen dem Sterben nahe. Meine Mutter und meine Patin haben schon die Sterbekerze angezündet.
Ein zweites Mal war ich bei einem Schilager auf der Köhlerhütte mit 6 Kollegen von einem Schneebrett verschüttet worden.
Ein drittes Mal waren wir fröhlich zum Abschluss des Besuches in unserer Partner Pfarre in El Salvador am Strand des Pazifischen Ozeans. Dort wurden wir plötzlich mit einer hohen Brechwelle mitgerissen. Die beiden Familienväter Toni und Gottfried waren gute Schwimmer und wagten sich auf die hohe See. Ich ließ mich mit den nächsten Wellen zum Ufer zurückziehen. Mit letzter Anstrengung gelang es mir einen jungen Burschen am Ufer auf meine bedrohliche Situation aufmerksam zu machen. Er lief los und erreichte gerade noch meine Hand und zog mich halb gelähmt ans Ufer. Die beiden anderen ertranken im Ozean.
Für mich ist die Zeit zu leben kostbarer geworden, weil das Leben so schnell und zu jeder Zeit zu Ende sein kann. Ich muss vorbereitet sein für das Leben, das Gott mir schenken möchte.
Mira Bardakji: Kommen und Gehen bestimmt unser Leben. Wie geht es dir dabei, wenn du an Abschied von unserer Pfarre denkst?
Ferdinand Köck: Ich bin vor 42 Jahren mit Ängsten in die große Pfarre gekommen. Heute denke ich, ich habe mich redlich abgemüht. Ich habe mehr als 2.800 Kinder getauft und an die 2.500 Menschen zu Grabe geleitet und ca. 2.000 Kinder zum Tisch des Herrn begleitet. Zu vielen Sterbenden wurde ich gerufen, um sie für die letzte Reise vorzubereiten. Ich bin sehr dankbar, dass ich dies alles tun durfte, getragen von der Nähe Gottes. Ich nehme aber auch mit ein wenig Wehmut Abschied, dass es jetzt soweit ist. Ich vertraue alle Kinder, ältere Menschen und alle guten Mitarbeiter der Liebe Gottes an und wünsche, dass alle bald den Zugang zum neuen Pfarrer finden.
Mira Bardakji: Im Jahre 1997 hat der Umbau der Pfarrkirche und den Nebengebäuden stattgefunden. Zwei Jahre lang bist du der Bauherr gewesen. Wie geht es dir heute, wenn du denkst der große Umbau findet bald statt.
Ferdinand Köck: Ich bin froh und glücklich darüber, dass wir so viele Räume für die Pastoral (Stöpserl, Jungschar, Jugend, Senioren, Gebetskreis, Gemeinschaften, Chöre) mit vielen fleißigen Helfern schaffen konnten. Besonders war ich dankbar, dass wir die Kirche den neuen Erfordernissen anpassen konnten. Ein besonderes Anliegen war auch die alte Hauswiese zu einem Spielplatz für Jung und Alt zu gestalten. Wenn nach 40 Jahren wieder Umbauten notwendig sind, soll weiterhin der Blick auf Kinder und Jugend und Gemeinschaften gelenkt werden. In diesen vielfältigen Möglichkeiten liegt die Zukunft der Pfarre, und der Kirche.
Mira Bardakji: Für die Gemeindemitglieder hast du mehrfach verschiedene Reisen organisiert und deine Qualität als Reiseführer unter Beweis gestellt. Welche von dir noch unbesuchte Orte würdest du noch gerne bereisen?
Ferdinand Köck: Indien oder Armenien.
Mira Bardakji: Welche Pläne hast du in deinem Ruhestand?
Ferdinand Köck: Zunächst Ausruhen, Kräfte sammeln für Aushilfen, wo immer ich gebraucht werde.
Mira Bardakji: Was würdest du deinem Nachfolger Dr. Stefan Ulz mit auf dem Weg geben?
Ferdinand Köck: Darauf zu achten, die Zeit, die zur Verfügung steht, gleichmäßig für alle zu verteilen und die Stillen und Genügsamen nicht zu übersehen und dankbar die bunte Vielfalt des Pfarrlebens zu fördern mit dem Blick auf den Seelsorgsraum.
Mira Bardakji: Deine Sorge für die kommende Zeit…
Ferdinand Köck: Die Schwerhörigkeit und gesundheitliche Einschränkungen anzunehmen und zu ertragen.
Mira Bardakji: Hast du jemals daran gedacht woanders hin zu gehen?
Ferdinand Köck: Woanders hinzugehen habe ich nie gedacht. St. Peter war meine Heimat. Ich war sehr gerne in dieser Pfarre.
Mira Bardakji: Es haben ja immer wieder verschiedene Menschen im Pfarrhof gewohnt. Welche lustigen und merkwürdigen Situationen sind Dir da besonders in Erinnerung geblieben?
Ferdinand Köck: Prof. Dr. Anton Pertoczi hat mich gerne in der Pfarrkanzlei und bei den Gottesdiensten vertreten. Er sagte oft: Fahren sie fort, sie wissen nicht, wie lange sie mich noch haben. Das letzte Lebensjahr wohnte er bei uns im Haus.
Prof. Dr. Heribert Thurner hat zu seinem diamantenen Priesterjubiläum sehr lange gepredigt. Zum Gelächter aller sagte er: jetzt habe ich die Zeit übersehen.
Mira Bardakji: Was wirst du am meisten vermissen?
Ferdinand Köck: Das solide gebaute Pfarrhaus mit der Aussicht auf die Berge im Hintergrund. Die Tiere im Areal der Pfarrpfründe. Das viele Grün und die Geschlossenheit des Hofes.
Mira Bardakji: Was würdest du anders machen, wenn du jetzt neu in die Pfarre kommen würdest?
Ferdinand Köck: Es war so viel an Verwaltungsarbeit notwendig. Ich musste den Computer verstehen lernen und immer neue Programme (Friedhof, DKD, diözesane Katholiken Datei) üben. Durch die Möglichkeit eines Verwaltungsassistenten, wie jetzt vorgesehen, würde ich mir viel mehr Zeit nehmen für Besuche in den Siedlungen, um bei den Neuzugezogenen zu sehen und zu hören, wie das Leben gemeistert wird. Jedenfalls wenig Zeit in der Kanzlei verbringen.