Von der Ahnung des neuen Anfangs ...
Die Emmaus Erzählung steht heute im Zentrum unserer Betrachtung. Emmausgänge, die traditioneller Weise am Ostermontag abgehalten werden, können unter den einschränkenden Bedingungen dieser Zeit zwar nicht abgehalten werden.
Ich lade Sie aber ein, diesen Weg gedanklich noch einmal zu gehen und das Gehörte anzureichern mit den eigenen Erfahrungen, Befindlichkeiten und Wahrnehmungen und mit dem abzustimmen, was uns der Evangelist Lukas mit dieser Wegerzählung sagen möchte.
Die Emmaus-Erzählung berührt mich immer neu aufgrund der beiden Charaktere der rastlos Wandernden. Sie gehen und wir wissen nicht genau, wohin. Weg von Jerusalem, heraus aus dieser bedrückenden Situation, sie gehen in Richtung dieses kleinen Dorfes Emmaus.
Viele Bilder kommen mir in den Sinn, wenn ich mir die Ausgangs-Situation der beiden Emmaus-Jünger dieser Geschichte in der Vorbereitung vergegenwärtige: rein äußerlich betrachtet ein ausgedehnter Spazierweg von etwa 12 km, den zwei Menschen gemeinsam gehen, 2 Menschen wie wir. Natur, Frühlingserwachen, miteinander gehen.
Die beiden gehören dem erweiterten Sympathisantenkreis um Jesus an. In den Herzen dieser beiden Männer herrscht tiefe Trauer, Hoffnungslosigkeit, Planlosigkeit- und Orientierungslosigkeit - Verzweiflung. Vor drei Tagen ist ihre Welt buchstäblich zusammengebrochen, jetzt sind sie nur irritiert, haben keinen Halt.
In den Köpfen dieser beiden Männer schwirren noch die Nachrichten der letzten 3 Tage : Die Verhaftung des Messias, das unwürdige an einseitigen Interessen diverser Machthaber orientierte Gerichtsverfahren, das Verspotten ihres Anführers und schließlich den Tod in Schande, die Kreuzigung. Der gewaltsam herbeigeführte Zusammenbruch einer neuen, so verheißungsvollen Bewegung. Irritation sogar im Tod – der Leichnam ist nicht mehr in der Grabstätte.
Und die beiden Männer reden darüber. Es ist schwer zu verkraften, dieser Tod am Kreuz. Beweist er nicht, dass sie sich in Jesus getäuscht hatten. Trauerarbeit, gemeinsames Suchen, gemeinsames Fragen: Messias kann doch nicht einer sein, der leidet oder gar stirbt und das auf diese Art und Weise? Sie zweifeln an allem, was sie geglaubt haben. Was soll das alles bedeuten? Wie wird es weitergehen? Wie können sie zu einer Normalität zurückkehren? Worauf können sie bauen?
Zwei müde Wanderer, die sich enttäuscht über die Bruchstücke ihrer selbstgefertigten Erwartungen dahinschleppen.
Und dann werden sie herausgerissen aus ihren gemeinsam gewälzten dunklen Gedanken. Jemand spricht sie an, begegnet ihnen offen und unvoreingenommen. Doch in ihrer Enttäuschung und gefangen in ihrer Resignation sind sie wie von Blindheit geschlagen. Der Begleiter fragt und lässt sie noch einmal erzählen. Das Feuer, das in ihnen einst so stark gelodert hat, kommt noch durch als sie vom Propheten Jesus von Nazareth erzählen, wie er mächtig war in Wort und Tat vor Gott und dem ganzen Volk. Aber die Glut ist am Erlöschen.
Sie stehen unter dem Eindruck der Nachrichten derer, die zwar alles so fanden, wie die Frauen gesagt hatten, die Jesus selbst aber nicht sahen. Ein Faktencheck, gesichertes Wissen ist nicht möglich. - Fake news?
Ihr Begleiter hört zu, er hört sie an.
Und dann wird den Emmaus-Jüngern etwas Wunderbares zuteil: Gott selbst bringt ihnen nun nach Vollzug seines Auferstehungs- und Heilsgeschehens den Sinn des Leidens und den Weg durch den Tod zur Herrlichkeit des Messias durch Auslegung der Schrift nahe.
Sie hören die Schriftworte, die Worte der Propheten, die im seinerzeitigen Bund Gottes besiegelte Zuwendung und eifernde Liebe Gottes zu den Menschen, die zahlreichen Bilder und Gleichnisse, in denen Jesus gesprochen hat, sie hören, was ihr Wegbegleiter zu sagen hat. Mit Bestimmtheit auch die Ankündigungen von Leiden und Auferstehung des Menschensohnes und seines Weges der Verherrlichung zur Erlösung der Menschheit. Doch all ihr Wissen, die Kenntnis der Schrift führt nicht zum „Erkennen“ Jesu Christi. Wissen allein schafft keinen Glauben.
Eine neue Sichtweise beginnt sich aber langsam in ihnen aufzutun. Ein Perspektivenwechsel. Plötzlich erscheinen ihnen die Nachrichten der Frauen, die zuvor in ihrem Informationswert relativiert und vielleicht als Einbildung abgetan wurden, in neuem und besonderem Lichte. In ihnen wächst die Ahnung von dem Unfassbaren, die Ahnung eines neuen Anfangs.
Die beiden Jünger sind von diesem Gespräch und von ihrem Begleiter sehr angetan. Da ist jemand, der dazu anleitet, die eingefahrenen gedanklichen Gleise zu verlassen, der mit ihnen eine Weichenstellung vornimmt, der dazu verhilft, einen Weg aus der Glaubens- und Lebenskrise der beiden Emmaus Jünger zu finden. Und sie können nicht genug bekommen, sie laden ihren Gesprächspartner ein, bei ihnen zu bleiben, da es Abend wird.
Und er nimmt ihre Einladung an und geht mit hinein.
Sie setzen sich zu Tisch und die Jünger werden zu Eingeladenen. Jesus lädt sie ein, er spricht den Lobpreis und bricht für sie das Brot.
Und als er das Brot bricht und sie das gebrochene Brot von ihm bekommen, weicht ihre Blindheit und sie erkennen ihren Herrn.
Sie sehen ihn nicht mehr, sie sind nicht mehr auf die wissensbasierte Interpretation aus der Vermittlung ihrer Sinnesorgane gebunden, sie nehmen die Situation mit ihrem Herzen wahr, mit ihrer ganzen Seinswirklichkeit – sie erkennen ihn.
Und in dieser unfassbaren Freude brechen sie ihren Weg ins Ungewisse ab, sie haben ein neues Ziel, das ihnen aber kein fremdes ist – Jerusalem. Sie kehren um und brennen darauf, die Gemeinschaft mit ihren Freunden zu suchen und zu erzählen – Jesus ist nicht tot. Er ist auferstanden.
Wenn wir heute zusammenkommen und in dieser Form Gottesdienst feiern, so steht Gottes befreiende Tat, die in und durch Jesus Christus gegenwärtig wird, im Zentrum unserer gemeinsamen Betrachtung.
Wenn wir in dieser Feier das Evangelium hören, wie Jesus sich an die Seite der Verzagten, der Enttäuschten, der Traurigen und der Verzweifelten stellt und sie begleitet, dann begegnen wir ihm und werden von ihm ermutigt, es gleich zu tun.
Wenn wir in dieser Feier das Evangelium hören, wie er den beiden Jüngern eine Glaubensperspektive verschafft, so begegnen wir ihm und werden von ihm angeleitet, es gleich zu tun.
Wenn wir das Evangelium aufnehmen und hören, wie die Jünger Jesus beim Brechen und Austeilen des Brotes erkennen und so entdecken, dass sich der auferstandene Christus in anderer und neuer Weise schenkt, dann begegnen wir ihm hier in dieser Feier und werden von ihm beschenkt.
Ich weiß, dass es viele schmerzt und es schmerzt auch mich, in dieser Zeit der Vermeidung von persönlichen Kontakten an der innigsten Form der Gemeinschaft mit Jesus durch Empfang der Hl. Kommunion nicht teilnehmen zu können.
Nutzen wir diese gegenwärtige Zeit, die sicher unvergessen bleiben wird, um den Fundamentmauern unseres Glaubens in der Bibel neu nachzuspüren, kehren wir Jerusalem nicht den Rücken wie die Emmaus Jünger zu Beginn, sondern wir gehen wir darauf zu, entdecken wir auch die Möglichkeiten, um das Wort Gottes in der Hauskirche, aber auch in der Liturgie unserer Pfarrgemeinden neu zu entdecken. Und die vielen Berichte zeigen, dass es auch geschieht.
Geben wir der Hl. Schrift ihren besonderen Stellenwert in unserem Leben UND in auch in unserem gemeinsamen Feiern. Auf dass wir Jesus in den Heiligen Schriften sehen und darüber hinaus ihn erkennen, wie auch die Kirche in ihrer Tradition die Heiligen Schriften immer verehrt hat wie den Herrenleib selbst.
Hören wir etwa auf Petrus, wie er am Pfingsttag in Jerusalem kraftvoll seine Stimme erhob und Jesus als den von Gott Auferweckten bezeugt, der vom Vater den verheißenen Hl. Geist empfangen hat.
Hören wir auf Paulus, dem für die junge Christengemeinde in Korinth das Festhalten an dem Wort, das er verkündet hat, besonders wichtig war und die er an den Glauben erinnert, den sie – wohlüberlegt - angenommen hat.
Spüren wir die Emotion und die Befindlichkeit der beiden Emmaus-Jünger und ihren Weg zum Glauben – begleitet von Jesus Christus – nach.
Spüren wir das Brennen auch in unserem Herzen, wie es die beiden Jünger empfanden. Machen wir eine neue Zielbestimmung, eine Neu-Eingabe in unserem Lebens-Navi, dass mit dem erneuerten Auferstehungsglauben es für uns einmal heißen wird: Ziel erreicht.
Stellen wir ihn in unsere Mitte.
Leben wir aus seinem Wort.