Wir feiern Osternacht
„Ich finde, dass diese Tage noch einmal intensiver zeigen, in welcher Situation wir uns befinden. Es fehlt so viel, am meisten die Menschen, die wir nicht treffen können, für viele auch Gott. Das Hoffen auf Erlösung ist groß: Sterbende, Kranke, Trauernde, Angst, Einsamkeit, Ungewissheit. Ich sehe Gott am Werk vor allem in allen, die Mut aufbringen, sich einsetzen, oft bis zur Erschöpfung, für andere da sind. Gott hat, wie es in dem schönen alten Gebet heißt, wohl vor allem unsere Hände, gerade jetzt…“ schrieb mir ein Freund in diesen Tagen!
„Die Karwoche ist wie eine Intensivstation des Lebens und damit auch eine Intensivstation des Glaubens!“ (B. Elbs) Oft ist in diesen Tagen von den (vorhandenen oder weltweit fehlenden) Intensivstationen die Rede! Ja, diese Tage führen uns noch einmal intensiver an den Nerv des Lebens und wohl auch des Glaubens. Die (auch im Glauben) Wissenden informieren, sie schenken aber keinen Trost. Geht es doch um Tod und Leben, Verletzung und Heilung, um Liebe und Verrat, um Hoffnung und Erfüllung. Es geht also ums Ganze, um die Gegensätze menschlichen Lebens, die Erfahrungen von Hoffnung und Freude genauso wie um die Ängste und die Verzweiflung so vieler Menschen weltweit und grenzenlos…
Wir alle haben übers vergangene Jahr viele Fest- und Feiertagsbilder, aber auch Tränen- und Angstbilder abgespeichert. All diese Bilder und Erfahrungen passen und gehören zu den Themen der Kar- und Osterwoche. Ich möchte ein paar, in meinem Herzen abgelegte Bilder dazulegen:
Bilder von strahlenden, jungen Eltern, die mit der Taufgemeinde ihre segnenden Hände über ihr Kind halten; Hochzeitsbilder, das Glück ist greifbar; Bilder von Kindern, Enkelkindern; Bilder von Festen in unseren Familien, mit Freunden, in der Kirche: „Hoch, hoch, Hosanna und: DANKE sagen!“ Dann sind da die Karfreitagsbilder in S/W: Aktuelle ‚Corona-Bilder‘, die beengen und wohl auch Angst machen: Distanzierte, Isolierte, Infizierte, Kranke, Tote. Nicht vergessen, da sind dann noch die nicht neuen Bilder mit Menschen auf der Flucht vor Hunger, Terror und Krieg. Bilder von Menschen, die vor den Scherben ihres Lebens stehen, weil Lebensträume zerbrochen oder die Arbeit verloren ging; von Menschen, denen „aus heiterem Himmel“ das Röntgenbild mit einer Diagnose schwarz auf weiß gezeigt wird; Menschen, deren Liebes- und Glücksbilder zerrissen sind oder weil ein Mensch, der für das eigene Leben eine große Bedeutung hatte, gestorben, verunglückt ist oder sich das Leben genommen hat… Ich sehe die Mutter, die mir bei der Verabschiedung ihres Sohnes sagte: Herr Diakon, das darf doch nicht sein, dass ein Kind vor der Mutter geht…
Ja, das alles ist konkret und wahr… Ich lade dich/mich/uns alle ein: Legen wir diese, in unseren Herzkammern „abgespeicherten“ Bilder heuer in „unseren Häusern“ auf den Esstisch, der zum Altar wird! Gläubig, zweifelnd, suchend, schauen wir – noch mitten in der Osternacht in den Himmel… – Still geworden, schenke Gott uns die Hoffnung, dass „durch eines der vielen gelben Löcher des Himmels mein Gebet drängt in das goldene Haus…und wir mit der Dichterin Chr. Lavant dann noch weiter sagen dürfen: Durch eines der vielen gelben Löcher des Himmels tröpfelt der Mut in mein gläsernes Herz…“
Wir Menschen von heute haben viele Hoffnungen und oft keine Hoffnung. Diese Nacht will uns „anstecken“ und neu mit dem Virus „Hoffnung“ infizieren. Wir müssen uns nur – mit den Jüngerinnen und Jüngern – im Morgengrauen und Hand in Hand – hinauswagen aus unserer seelischen Quarantäne, und uns „infizieren“ lassen, um im leeren Grab Jesu den Keim der Hoffnung neu zu entdecken, denn der „Stein“ ist weggewälzt!
Scheu zünden wir auf diesem ganz konkreten, nicht retuschierten Lebens- und Erfahrungshintergrund unsere kleinen Osterkerzen auf dem Tisch an und singen oder sagen, laut oder verhalten: „Halleluja“!
Lassen wir es uns wieder neu zusagen, was wir uns selbst nicht sagen können: Ostern möchte dir/mir/ ja, allen, das Tor zur großen Hoffnung öffnen und uns Appetit machen auf die letzte und tiefste Wahrheit, die da heißt: es ist Sinn und nicht Sinnlosigkeit; es ist Leben und nicht Tod! Von Jesus, der elendiglich am Kreuz starb, der begraben und dessen Grab mit einem Stein versiegelt wurde – heißt die gute Nachricht: Hört und seht, er ist auferstanden! Neues, unzerstörbares Leben ist ihm geschenkt und uns verheißen. Gott hat gewirkt, was in keines Menschen Macht steht: Leben zu schaffen aus dem Tod; Leben, das den Tod überwindet. Das ist kein schöngeistiger Siegermythos. Denn wir hören und können die Nachricht verstehen lernen, mit dem Blick auf Jesu Tun und Wort; mit dem Blick auf seinen Lebensweg, der vom Palsonntag über den Karfreitag – ohne jede Abkürzung – nach Ostern ging!
Das zu glauben ist nicht selbstverständlich, damals nicht und heute nicht! Auch die Jünger haben zuerst das Gerede von der Auferstehung als Weibergeschwätz abgetan. Und erst durch viele Zweifel hindurch begannen sie zu verstehen und so zu glauben, dass sie sagen konnten: „Dafür sind wir Zeugen!“ Zeugen dafür, dass wahr ist und wahr bleibt, dass das Leben, dass die Liebe stärker ist als der Tod und das Gute stärker ist als das Böse und das Recht stärker als das Unrecht. Jesus geht auch uns voraus „nach Galiläa“, in die Provinz unseres Lebens. Dort ist und bleibt „Gott am Werk“, „vor allem in allen, die Mut aufbringen, sich einsetzen, oft bis zur Erschöpfung, für andere da sind. Gott hat, wie es in dem schönen alten Gebet heißt, wohl vor allem unsere Hände, gerade jetzt…“ Und so geschieht Auferstehung „mitten am Tag“… Möge sich die „Infektion Hoffnung“ auch durch dich und mich verbreiten…
Diakon Fritz Hirzabauer