Palmsonntag
Der Palmsonntag ist und bleibt (nicht nur durch die unvorhergesehen hereingebrochene Pandemie) ein Sonntag voll von einander widersprechenden Gefühlen und Stimmungen.
Wer kennt es nicht, dass die Stimmung plötzlich kippt? Wanderer, die im Sonnenschein aufgebrochen, plötzlich besorgt zu den aufziehenden Gewitterwolken starren. Super Stimmung in der geselligen Runde, in der Familie, unter Freunden. Es war fröhlich, harmonisch und gut, bis irgendein falsches Wort gefallen, die Stimmung kippte und die Harmonie sich plötzlich aufzulösen begann!
Vor ein paar Wochen noch: Wir hatten (scheinbar) alles im Griff, die Terminkalender (auch der Kleinen) war für das Jahr gefüllt; die Auftragsbücher verhießen ein gutes Jahr. Im grellen Lichtkegel der Starken und Tüchtigen wurden so viele und so vieles ausgeblendet: die, die im Schatten leben und arbeiten, die auf die Sozialhilfe, Caritas und Suppenküchen verwiesen sind oder die, die mit Tränengas vom Grenzzaun verscheucht werden – als ob es da drüben nicht genug Tränen schon gäbe…
Ja, daran haben wir uns leider gewöhnt und zur eigenen Beruhigung und Rechtfertigung gesagt: Da kann man nichts machen! So sind die Gesetze des Marktes! Ja, nur so funktioniert „gutes Leben“! Heute müssen wir sagen: So funktionierte das gute Leben – bis gestern… Denn inzwischen ist die Stimmung weltweit gekippt.
Ein Virus ist respektlos, alle Grenzen und roten Haltesignale ignorierend, „in die Welt gekommen“. So wurden und werden allerorts Schnellbremsungen eingeleitet, um den ganz großen Kollateralschaden vielleicht noch zu verhindern… Was jetzt, wenn „es ist, was es ist“?
Wir Christinnen und Christen schauen mit murmligem Gefühl heute auf Jesus und seine Geschichte, an diesem, heuer so anderen Palmsonntag – noch mitten in der „gekippten Stimmung“.
Die Bibel erzählt uns: In einer „Hosianna-Stimmung“ wird Jesus vom Volk empfangen. Der rote Teppich ist ihm ausgerollt. Mit grünen Zweigen wird ihm zugewinkt. Er kommt wie ein Star in die Arena; alle und alles schaut auf ihn: Hosanna, dem Sohne Davids, gepriesen der da kommt …
Doch, Er reitet auf einem Esel! Wo bleibt das Pferd, auf dem er ‚hoch zu Ross‘ einreiten könnte? Wo bleibt die Sänfte für den König? Es wären genug Männer auf den hintersten Stehplätzen, die man holen könnte, dass sie ihn auf die große Bühne am Hauptplatz Jerusalems tragen… Das passt doch nicht, auf dem Rücken eines Esels, dem „Pferd der Armen“! So kann doch der Retter, der Messias, der König Israels nicht in die Stadt kommen! Da stimmt doch was nicht!
Ja, wer ist er? Ist er nicht der, der Gedanken im Volk verbreitet, die Sicherheit und Ordnung radikal in Frage stellen? Ist er nicht der, dem da alles mögliche Gesindel nachrennt? Hat der nicht gesagt:
Selig, die Armen, selig die Trauernden, selig die Sanftmütigen; selig, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit. Sagte er nicht: Selig die Barmherzigen; selig, die Frieden stiften? Und dann noch dazu: selig, die verfolgt werden…
Wenn er der ist, der nicht weiß, wer Herr und Knecht, wo Oben und Unten; wer das Sagen hat und wer zu gehorchen; wenn der meint, uns neue Gebote geben zu können oder gar den Mob mobilisiert, dann gehört er runter – auch vom Esel! Nicht morgen, sondern heute …
Und plötzlich: die Stimmung ist gekippt; der Umjubelte wird zur Spottfigur… und sie rufen nach dem Richter, der soll die Legitimation liefern für das, was unumgänglich ist: Er muss weg! Ganz weg!
Der berüchtigte Barabas wird im Tauschgeschäft freikommen, dass bis zum großen Fest wieder Ruhe einkehrt und dann wieder alles so bleibt, wie es ist! Das grausame Schauspiel, das dann folgt, wird heute in der Johannespassion gelesen.
Schwestern, Brüder! Jesus geht seinen Weg mit uns hinein in die Karwoche. Er geht keinen Umweg bis zum Halleluja am Ostermorgen. Und er will, dass wir hier und heute, uns in seiner Gegenwart „rüsten und zurüsten“ für den Weg vor uns. Er bleibt solidarisch mit uns auf dem Weg. Er geht mit uns in und durch die kommende(n) Karwoche(n) bis der Stein weggewälzt und es wieder Ostern ist.
Heute am Palmsonntag sagt er uns: „Fürchtet euch nicht! Geht mit mir – wie ich mit euch gehe! Bleibt beisammen! Lasst niemanden, wenn es steil wird oder unwegsam, allein- oder zurückbleiben. Wir werden gemeinsam „ankommen“ und Mahl halten am Tisch des Herrn! Und wir werden singen: Halleluja!
Aber: Noch sind wir nicht dort. Die Karwoche liegt noch vor uns, mit vielleicht auch noch schwereren Tagen. So bitten und beten wir heute, am Palmsonntag in der „Coronazeit“:
Jesus, der du Hoffnung bist und bleibst! Woran willst Du mich/uns/alle erinnern, hier und heute, die wir beengt, verängstigt und verunsichert aus unseren Fenstern schauen und hoffen, dass es Zukunft gibt! Zukunft, nicht nur für mich und uns, sondern Zukunft für alle? Stärke Du uns, die wir gefährdet sind, müde zu werden und „schlapp“ zu machen, durch Dein aufmunterndes Wort. Öffne unsere Ohren, dass wir hören… (vgl. 1.Lesung)
Lass uns runtersteigen „von den hohen Rossen“ und Menschen werden; ein Mensch, wie du es geworden… (vgl. 2.Lesung). Jesus, zieh Du heute bei uns ein: in unsere Familien, Wohnungen und Häuser; Krankenhäuser, Altenheime, in unsere Asylquartiere und Gefängnisse: Komm, nimm Wohnung in unseren Herzen! Herr, keinen roten Teppich rollen wir dir aus, mit keinen Palmzweigen wedeln wir dir zu! Vielmehr breiten wir vor dir unsere Bedürftigkeit und Hilflosigkeit aus. Sieh auf unsere Unsicherheit, Rat- und Antwortlosigkeit! Auch unsere Solidarität und unsere Hoffnungen legen wir dir hin; ja, auch von dem, was wir zu viel, viel zu viel haben und die anderen brauchen. Wir wollen unser Gepäck erleichtern, um freier und weniger belastet mitzukommen. Denn unsere Armut und Bedürftigkeit kann der Weg zum Fest sein …
Hilf Du uns auf, wie auch wir einander aufhelfen wollen, heute, morgen und in Zukunft! „Marana tha – Unser Herr, komm!“
Diakon Fritz Hirzabauer