Auferweckung
Wenn wir an die Ostertexte im Neuen Testament denken, kommen uns meistens die Bilder der Ostergeschichten in den Sinn: die Frauen am Ostermorgen, der weggewälzte Stein, das leere Grab, der Wettlauf zwischen Petrus und Johannes oder die Begegnung mit dem zunächst Unbekannten auf dem Weg nach Emmaus. Die Bibel spricht aber auch in anderer Form über das Osterereignis. Beispielsweise kommt die Auferstehung auch in Predigten der Jünger oder in Bekenntnissen vor, mit denen frühe Christinnen und Christen ihre Zugehörigkeit zu Jesus Christus bezeugten. So schildert etwa die Apostelgeschichte, dass Petrus in seiner Predigt zu Pfingsten auf Ostern zurückblickt und sagt, dass Jesus „ans Kreuz geschlagen und umgebracht“ worden sei, dass Gott ihn aber „von den Wehen des Todes befreit und auferweckt“ habe. (Apg 2, 23f.) Hingegen setzt Paulus im Brief an die Gemeinde in Rom eine Bekenntnisformel mit der Rettung der Gläubigen in Bezug. Er sagt: „[W]enn du mit deinem Mund bekennst: Herr ist Jesus – und in deinem Herzen glaubst: Gott hat ihn von den Toten auferweckt, so wirst du gerettet werden.“ (Röm 10,9)
An den beiden zitierten Stellen fällt auf, dass nicht davon gesprochen wird, dass Jesus Christus von den Toten auferstand, sondern dass er von Gott auferweckt wurde. Die Auferstehung wird hier als Auferweckung vorgestellt. Das bedeutet, dass Jesus Christus nicht allein an seiner Auferstehung beteiligt gewesen ist, sondern dass Gott, der Vater, wesentlich zu seiner Befreiung aus dem Tod beigetragen hat. Gott bleibt angesichts des Leides seines Sohnes nicht teilnahmslos und lässt ihn nicht allein in seinem Tod. Da Gott sich seiner annahm, musste Jesus Christus nicht tot bleiben, oder, wie es im angeführten Vers aus der Apostelgeschichte weiter heißt, konnte Jesus Christus nicht „vom Tod festgehalten“ werden.
Wenn Auferstehung immer auch Auferweckung durch Gott, der zugleich Vater und Mutter ist, meint, dann dürfen die „Kinder Gottes“, also alle Menschen, die glauben, darauf hoffen, dass sie ebenfalls auferweckt werden – wie Jesus Christus auferweckt wurde. Gerade wir Menschen vermögen es nicht, aus eigener Kraft unseren Tod zu überwinden und für uns das unvergängliche Leben zu erreichen. Auf die Überwindung des Todes können wir nur hoffen.
Der Glaube an die Auferstehung ist vor allem die Hoffnung darauf, dass Gott uns das Leben bei sich schenken wird. Trotz aller berechtigten menschlichen Versuche, das Leben durch medizinischen und technischen Fortschritt zu verlängern und den Tod hinauszuschieben, bedürfen wir letztlich fremder Hilfe, nämlich der Hilfe Gottes, wenn der Tod nicht nur verzögert, sondern endgültig überwunden werden soll. Glaubende trauen Gott diese Kraft zu.
Doch sind Menschen nicht nur auf Gott angewiesen, wenn Auferstehung Wirklichkeit werden soll, sondern auch Gott ist angewiesen auf den Menschen – dann nämlich, wenn sich Auferstehung nicht bloß am Ende des Lebens, sondern schon hier und jetzt ereignen soll. Wir alle kennen schwierige und scheinbar ausweglose Situationen, Schmerz und Leid, die wie „kleine Tode“ auf uns lasten. Sie zu überwinden ist alleine meist unmöglich. Wir brauchen andere Menschen, die helfen, Leid mittragen oder unsere Probleme zu lösen versuchen und uns dadurch wiederaufleben lassen. Insofern Gott schon heute Rettung bringen möchte, zählt er auf Menschen, die andere „auferwecken“ aus ihrem Elend und ihnen zu neuem Leben verhelfen.
Ostern wird erst dann wirklich, wenn alle, die die Auferstehung Jesu Christi feiern, sich selbst in Dienst nehmen lassen, sich für das Leben der Mitmenschen einzusetzen, sei es für die eigene Familie oder für Verwandte und Bekannte, sei es für all jene, die krank oder in Not geraten sind und Unterstützung nötig haben. Dabei lässt sich vor den Fremden oder Andersgläubigen, den Immigrantinnen und Immigranten oder Asyl Suchenden nicht Halt machen. Sonst wäre Jesus Christus nicht für alle gestorben und auferweckt worden. Sie dürfen von den Christinnen und Christen, die die Auferstehung bekennen, erwarten, dass sie von deren Zuwendung nicht ausgeschlossen werden. Denn wie Jesus Christus nicht teilbar ist (1 Kor 1,13), ist auch seine Auferstehung nicht teilbar. Christin oder Christ zu sein heißt demnach, für alle Menschen Mitarbeiterin und Mitarbeiter bei deren Auferweckung zu sein. Dass Gott uns dabei nicht allein lässt und alle Menschen guten Willens aus dem Tod erlösen wird, bleibt die Hoffnung, auf die wir bauen und die uns dafür Kraft gibt.
Reinhold Esterbauer